Die Kastanie in Ligurien





Wer schon einmal in Liguriens Bergen gewandert ist, wird sich über die oft weitläufigen Kastanienwälder gewundert haben, die vorzugsweise die nördlichen und nordöstlichen Berghänge zum Teil bis in die Flussniederungen hinunter bedecken, und den Teil der Landschaft in Besitz genommen haben, der den Oliven auf Grund niedriger Wintertemperaturen verwehrt ist. Diese Kastanienforste, denn um solche handelt es sich letztendlich, prägen nicht nur das Landschaftsbild in der Vegetationsstufe von 200-1200 m, sie waren über Jahrhunderte Lebensgrundlage der Bevölkerung der Bergregionen.

Abbildung 1Eine aus mächtigen Schieferplatten gefügte Treppe führt durch dichte Kastanienwälder zur hoch über Lavagna liegenden Kapelle von S. Giaccomo.
Abbildung 1

Die Kastanien-Pflanze  []

Die Esskastanie ist eine typisch Pflanze des Mittelmeerraumes. Ihr natürliches Verbreitungsgebiet erstreckt sich über die afrikanischen und europäischen Küstenregionen vom Atlantik bis zur Türkei in einer Vegetationsstufe von 200-1200 m. Geeignete Umweltbedingungen vorausgesetzt kann sie bis zu 35 m hoch und über 500 Jahre alt werden. Üblicherweise erreichen die Bäume in den geschlossenen Beständen der Bergregion nur 15-20 m Höhe. Mit seinen kräftigen, tiefgreifenden Wurzeln ist der Sommergrüne Baum fest im Boden verankert und findet damit auch an steileren Hängen Halt. Eine besondere Eigenart der Kastanie ist, dass aus jedem Wurzelstock mehrere Stämme ausgetrieben werden, deren überzählige abgeschlagen werden und als Pfähle (z.B. im Weinbau oder für Zäune) Verwendung finden. Bis zum zehnten Lebensjahr ist die Rinde glatt und glänzend. Bei älteren Bäumen ist der Stamm oft gedreht mit längsrissiger Borke.

Die 10-25 cm langen, lanzettlichen, stachelig gezähnten Blätter erscheinen im Mai. Danach erfolgt erst die Blüte. Die Kastanie ist eine einhäusige Pflanze, d.h. männliche Staub- und weibliche Stempelblüten befinden sich auf derselben Pflanze. Die männlichen Blütenstände bilden bis zu 20 cm lange aufrechtstehende Kätzchen, die aus vielen sehr kleinen gelben Blüten bestehen. Die weiblichen Teilblütenstände stehen zu 2-3 an der Basis der männlichen Blütenstände. Umgeben werden sie von einer Hülle, aus der sich später der stachelige Fruchtbecher (Cupula) bildet. Jeder Fruchtbecher enthält im allgemeinen 3 Früchte, von denen gelegentlich bis zu 2 verkümmern, so dass nur eine einzige Frucht von bocksbeutelartiger Gestalt übrig bleibt. Botanisch ist die einsamige Frucht mit harter Schale eine Nuss. Ihre Größe, Farbe und Form hängt von der jeweiligen Zuchtsorte ab. Bei Vollreife öffnet sich der Fruchtbecher selbständig mit 4 Klappen und entlässt seine Früchte. Die Kastanie trägt erstmals nach etwa 15 Jahren Früchte. Höchsterträge werden erst nach 50 Jahren erreicht. Sie schwanken je nach Umweltbedingung zwischen 10 und 50 kg pro Pflanze und können in Extremfällen bis über 200 kg betragen.

Im Gegensatz zu den übrigen Fagaceen wie Eiche, Steineiche und Buche, die Windblütler sind, benötigt die Kastanie Insekten zur Bestäubung. Das bedeutet, dass mit der Kastanienkultur häufig auch eine intensive Bienenzucht und die Gewinnung von Kastanienhonig verbunden ist. Der dunkle Kastanienhonig ist allerdings wegen seines leicht bitteren Geschmackes nicht allzu geschätzt.

Die Wildform der Kastanie hat, was den Ertrag sowie Aussehen, Geschmack und Verwertbarkeit der Früchte angeht, nur wenige Gemeinsamkeiten mit den Kulturformen, von denen schätzungsweise 300 unterschiedliche Sorten von meist nur regionaler Bedeutung in ganz Italien bekannt sind. Ganz grob unterscheidet man in Italien zwei große Gruppen:

Die “castagne“ enthalten pro Fruchtbecher 2-4 kleinen Früchte mit fester brauner Haut, wohingegen die geschätzteren “marroni“ pro “Igel“ nur 1-2 dicke, ovale Früchte mit dünner, leicht schälbarer hellbrauner Schale enthalten.

Leider werden die Früchte der Kastanien häufig von Maden befallen. Hier sind besonders zu nennen:

Abbildung 2Das Weibchen des Kastanienrüsselkäfers legt jeweils ein einziges Ei auf eine junge Frucht der Kastanie. Die hieraus schlüpfende Larve dringt in die Frucht ein. Nach Abfall der Frucht frisst die Larve ein Loch in die Schale und zieht sich in den Boden zurück, wo sie überwintert.
(Foto: INRA institut national de la recherche agronomique)
Abbildung 2

Abbildung 3Das Weibchen des Kastanienrüsselkäfers legt jeweils ein einziges Ei auf eine junge Frucht der Kastanie. Die hieraus schlüpfende Larve dringt in die Frucht ein. Nach Abfall der Frucht frisst die Larve ein Loch in die Schale und zieht sich in den Boden zurück, wo sie überwintert.
(Foto: INRA institut national de la recherche agronomique)
Abbildung 3

Geschichte der Kastanienkultur in Ligurien  []

Die den Buchengewächsen (Fagaceae) zugeordnete Ess- oder Edelkastanie (Castanea sativa Mill.) war in ihrer Wildform bereits vor der letzten Eiszeit in Zentraleuropa und am Mittelmeer heimisch, wurde aber während der Eiszeit in die entlegendsten Regionen des Mittelmeerraumes zurückgedrängt. Allerdings gibt es keine gesicherte Erkenntnis darüber, ob sich Restbestände in geschützten Regionen Süditaliens halten konnten oder ob die Pflanze später über den Balkan wieder zugewandert ist.

Auch wenn die rege Verbreitung der Esskastanie als Kulturpflanze bereits für die Römerzeit, ja selbst für den vorrömischen Zeitraum in Italien dokumentarisch belegt ist, begann die Blüte der italienischen Kastanienkultur erst im Hochmittelalter etwa um das Jahr 1000 n. Chr. Damals vertrieben Hunger und Armut die Küstenbewohner Liguriens ins bergige Landesinnere, wo Ackerbau kaum möglich war. Die Früchte der Kastanie jedoch, deren Kultur bald intensivst betrieben wurde, wurden für sie zu einem unverzichtbaren Grundnahrungsmittel. Der Baum lieferte ihnen aber darüberhinaus auch Bau-, Brenn- und Konstruktionsholz für Gerätschaften, Fässer und Möbel sowie Einstreu für die Stallungen, und bildete damit viele Jahrhunderte hindurch die Lebensgrundlage für die Berdörfer Liguriens. Dieser treue Begleiter des Menschen erhielt daher bald den Beinamen Albero del Pane (Brotbaum) und seine Früchte wurden Pane dei Poveri (Brot der Armen) genannt.

Die über viele Jahrhunderte durch den Menschen erzwungene Verbreitung der Kastanie als Nutzpflanze erfolgte zu Lasten der ursprünglichen, natürlichen Bewaldung. Riesige Bestände an immergrünen, strauchreichen Stein-Eichen Wäldern (quercus ilex L.) verschwanden für immer. In höheren Lagen musste die Flaum-Eiche (quercus pubescens Willd.), der Charakterbaum der submediterranen, immergrünen Laubwälder den Kastanien weichen. Noch im 19. Jahrhundert war die Bergregion der heutigen Provinz Genua zu ¾ von Kastienwäldern bedeckt. Mit den Kastanienwäldern verschwanden aber nicht nur die ursprünglichen Baumarten. Um die Kastanien-Ernte im Herbst zu erleichtern, bzw. alle verfügbaren Nährstoffe ausschließlich den Kastanien zukommen zu lassen, wurde jeweils im Frühsommer alles Unterholz, gleichgültig ob Gebüsch, Strauch oder junger Baum entfernt, so dass die ausgedehnten Kastanienwälder zu ökologischen Monokultur-Wüsten verkamen.

Im Zuge der Verbreitung von Kartoffeln, Reis und Mais verlor die Kastanie schnell ihre Bedeutung als Grundnahrungsmittel für die ärmere Bevölkerung und viele Kastanienwälder wurden sich selbst überlassen. Zudem dezimierte die Tintenkrankheit ( Mal dell'Inchiostro ), eine Pilzerkrankung die durch die "Pflanzenverderberinnen" Phytophthora cambivora und Phytophthora cinnamomi verursacht wird und erstmals Ende des 19. Jahrhunderts im Mittelmeerraum auftrat, die Bestände. Die Krankheit befällt die Wurzeln der Kastanie, zerstört deren Feinwurzelstruktur und führt so rasch zum Absterben der Bäume. Äußere Symptome einer Infektion mit der Tintenkrankheit sind vergilbte Blätter, abgestorbene Äste und fehlender Fruchtansatz. Nach Entfernen der Rinde erkennt man an der Stammbasis älterer Bäume von den Wurzeln aufsteigend violett-braune bis schwarze Verfärbungen des Kambiums und des äußeren Splintholzes.

Abbildung 4Von der Tintenkrankheit befallene Kastanie. Von den Wurzeln aufsteigend ist das Kambium unter der Rinde dunkel verfärbt.
Abbildung 4

Mit dem Beginn des Industriezeitalters änderten sich außerdem die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen. Auch in Ligurien begann die Entvölkerung des ländlichen Raumes. Zurück blieben in der Bergregion verlassene Dörfer und inmitten der immer noch weitläufigen, langlebigen Kastanienwälder die kleinen Häuschen zum Trocknen der Kastanien (seccatoio) als letzte stumme Zeugen einer vergangenen und bereits fast vergessenen Epoche.


Eine Zusätzliche Bedrohung der Kastanienwälder ergab sich in neuerer Zeit durch eine weitere, aus Amerika eingeschleppte Pilzerkrankung (verursacht durch Cryphonectria parasitica ), den Kastanien-Rindenkrebs ( Cancro corticale), der 1938 erstmals im Hinterland von Genua auftrat. Der Pilz, der über Wunden in die Rinde eindringt, befällt Rinde und Kambium von Stämmen und Ästen, unterbricht die Wasser- und Nährstoffaufnahme und führt dadurch ebenfalls zum schnellen Absterben des Baumes. Äußerliche Symptome dieser Erkrankung sind rötlich-braune Rindenflecke, die allmählich einsinken und schließlich zu Längsspalten einreißen. In Europa verläuft die Krankheit jedoch weniger dramatisch als in den USA. Der Grund dafür ist das sogenannte Cryphonectria -Hypovirus 1, das den Pilz befällt und derart verändert, dass dieser weniger virulent ist. Hypovirulente C.-parasitica -Stämme erzeugen, da sie nur noch die Rinde aber nicht mehr das Kambium anzugreifen vermögen, nur oberflächliche Krebse, die bald ausheilen.


Abbildung 5
Linkes Bild:
Linker Stamm: Aktiver Krebs. Tiefe Rindenrisse, Wasserreiser im Bereich des Krebses. Rechts zum Vergleich ein noch gesunder Stamm.


Rechtes Bild:Oberflächlicher, ausheilender Krebs nach natürlicher Infektion mit einem hypo virulenten (Hypovirus-infizierten) C. parasitica Stamm.
Abbildung 5



Große, zusammenhängende Kastanienwälder finden sich heute in Ligurien noch im Val di Vara (Süd- und Südwesthänge des Monte Gottero), im Val Fontanabuona, im Val Trebbia, in Valbrevenna, im Valle Argentina und im Val Nervi.

Anbau und wirtschaftliche Verwendung []

Holzgewinnung

Der Anbau der Kastanie erfolgte entsprechend ihrer wirtschaftlichen Verwendung. Mit der Wildform bepflanzte man meist Steilhänge für den Holzeinschlag. Nach dem Abholzen trieb die Pflanze wieder aus. Die Stammausschläge konnten alle 15 Jahre erneut geschlagen werden und fanden als Pfähle und als Brennholz Verwendung.

Bäume, die zu Bau- und Konstruktionsholz vorgesehen waren, wurden relativ dicht gepflanzt, um das Längenwachstum zu fördern und die Ausbildung von Astwerk zu reduzieren.

Abbildung 6Heister-Bildung einer alten Kastanie auf Grund mehrmaligen Holzeinschlags.


Abbildung 6

Im Gegenzug wurden Kastanien, die zur Gewinnung von Früchten dienten, in relativ großem Abstand voneinander gepflanzt, um die Ausbildung einer üppigen Krone mit gutem Fruchtbehang zu begünstigen. Ein gepflegter Kastanienwald von 10.000 m² erbringt im Schnitt etwa 1400 kg Rohkastanien im Jahr. Nach dem Trocknen verbleiben davon noch etwa 400 kg, aus denen nach dem Schälen etwa 100 kg erstklassige, verkaufsfähige castagne secce und 200 kg für die Herstellung von Mehl geeignete Kastanien gewonnen werden. Die restlichen 100 kg sind nur noch als Viehfutter zu verwenden.

Das Holz der Kastanie ist von mittlerer Härte und langlebig, da es unempfindlich gegenüber Feuchte- und Temperaturschwankungen ist. Infolge des schlanken Wuchses der Stammausschläge eignet sich die Kastanie hervorragend zur Herstellung von Pfählen, die auf Grund des hohen Tanningehaltes besonders widerstandsfähig gegenüber Fäulnis sind. Durch Anritzen der Rinde lässt sich ein Tanninhaltiger Saft gewinnen, der früher zum Gerben von Häuten verwendet wurde.


Ernte

Die Ernte der Früchte erfolgt je nach Region von Ende September bis Ende Dezember. Bei Vollreife öffnet sich der Fruchtbecher von selbst, so dass die Früchte meist nur aufgelesen werden müssen. Früher wurden Kastanien, die nicht zur unmittelbaren Weiterverarbeitung bestimmt waren, zunächst für mehrere Tage in Wasser gelegt. Kranke und von Maden (meist des Kastanienwicklers und des Kastanienrüsselkäfers) befallene Früchte stiegen an die Oberfläche und konnten so leicht von den gesunden Früchten getrennt werden und diese nicht mehr anstecken. Danach wurden sie in gut belüfteten Räumen getrocknet und anschließend gelagert.

Trockenprozess (essiccamento)

Kastanien, die als castagne bianche verwendet bzw. zu Mehl vermahlen werden, müssen zunächst getrocknet werden. Der Trockenvorgang erfolgt in einem eigenen Gebäude mit Trockenboden dem sog. siccatoio, das oft direkt im Kastanienwald steht, um die Transportwege für Brennholz und Rohkastanien kurz zu halten. Ein siccatoio in der Nähe des Wohnhauses hat den Vorteil der kurzen Wege für die mehrmals am Tage erforderliche Kontrolle des Feuers.

Das siccatoio mit gemauerten Wänden weist üblicherweise eine lichte Raumhöhe von 2,5-3 m auf. Die Decke bilden stabile Balken, auf denen 3-5 cm dicke Stangen oder Leisten dicht an dicht liegen. Auf diese Leisten werden die Kastanien in einer 40-60 cm dicken Schicht geschüttet. Oberhalb der Kastanienschicht, etwa in Traufenhöhe des Daches befinden sich Luftlöcher in den Wänden. Das Dach ist, wie in Ligurien üblich, meist mit Schiefer gedeckt.

Abbildung 7Kleines Seccatoio im Wald von Comeglio. Deutlich erkennbar sind die Luftlöcher unterhalb der Dachtraufe.


Abbildung 7

Im Raum unter dem Trockenboden wird aus Kastanienholz ein Feuer entfacht. Der Abstand zwischen den Stangen ist so groß gewählt, dass einerseits die aufsteigende warme Luft ungehindert durchstreichen kann, andererseits aber die Kastanien nicht herabfallen. Die Schütthöhe der Kastanien darf nicht mehr als 60 cm betragen, da ansonsten die Temperatur in der oberen Lage zu niedrig ist und das in der unteren Lagen verdunstete Wasser wieder kondensierte und zu Schimmelbefall führt.

Bereits beim Einschütten der Kastanien, das nach und nach entsprechend dem Ernteanfall erfolgt, wird ein leichtes, stark rauchendes Feuer erzeugt, das die Maden abtötet. Der Trockenvorgang dauert üblicherweise 3-4 Wochen, um den Wassergehalt der Kastanien von ca. 50% auf nahezu null zu reduzieren und sie “mahlfähig“ zu machen. Die Intensität des Feuers muss dabei peinlich genau kontrolliert werden. Wird die Luft zu heiß, werden die Kastanien geröstet, was sich negativ auf den Geschmack des Mehles auswirkte. Zu niedrige Temperatur begünstigt die Schimmelbildung.

Die Temperaturregelung erfolgt unter Verwendung der im Vorjahr gewonnenen Kastanienschalen. Über das Feuer gestreut verhindern sie das Entstehen einer offenen Flamme. Das Holz verschwelt mehr als dass es verbrennt.

Heute sind naturgemäß nur noch wenige der alten Siccatoios funktionsfähig. Die Familie Damico nimmt auf ihrer Azienda Agricola in Zerli, Frazione di Né , in jedem Herbst ihr an das Wohnhaus angebaute Siccatoio in Betrieb, um die neuen Kastanien zu rösten.

Abbildung 8Die Feuerstelle befindet sich in einer Ecke. Der im Vordergrund liegende runde Behälter ist eine campana, die zum Brotbacken in der Feuerstelle verwendet wird. Die Glut wird beiseite geschoben, der vorbereitete Brotteig auf den heißen Stein gelegt, die Campana darüber gestülpt und evtl. noch mit etwas Glut bedeckt. Nach einer Stunde ist das Brot gebacken.


Abbildung 8

Entfernen der Schale (sbucciatura) zur Gewinnung der castagne biancche

Die getrockneten Kastanien wurden auf die Tenne geschüttet und mit großen Stampfern, deren Unterseite mit pyramidenförmigen Stümpfen versehen ist, bearbeitet. Dabei löste sich die Schale ab, ohne dass die Kastanien stärker beschädigt wurden. Die Schalen wurden anschließend abgesiebt und sorgfältig gesammelt, um im Folgejahr zur Temperaturregelung beim Trockenvorgang verwendet zu werden.
Um auch noch feinste Schalenreste zu entfernen, wurden die bereits vorbehandelten Kastanien in einen Schlauch aus engmaschigem Gewebe gefüllt, der dann von zwei Personen an den Enden gepackt und mit rhythmischen Bewegungen immer wieder auf einen mit Tuch bespannten Klotz geschlagen wurde. Nach nochmaligem Sieben wurden die beschädigten und verdorbenen Früchte als Viehfutter aussortiert. Der wertvolle Rest, die sog. castagne bianche diente in vielfältiger Weise zubereitet der menschlichen Ernährung.

Das Stampfen (pestatura)

In einem ähnlichen Verfahren wurden die getrockneten Kastanien mit den Füßen gestampft, um die Schale von der Frucht zu lösen. Hierzu wurden sie in ein stabiles Holzgefäß mit Schlitzen im Boden geschüttet. Die Person, die die Arbeit ausführte trug Holzsandalen, deren Sohlen geriffelt oder mit hervorstehenden Eisenstiften besetzt waren. Die Schalen lösten sich beim Stampfen von den Früchten und fielen durch die Schlitze im Boden des Gefäßes. Die Schalen wurden sorgfältig gesammelt und im Folgejahr zur Temperaturregelung beim Trockenvorgang verwendet.

Lüften (ventolatura), Trocknen und Mahlen

Die Kastanien wurden anschließend auf ein großes Holztablett gelegt und und in die Luft geschleudert. Durch den dabei entstehenden Luftzug wurden die letzten Schalenreste weggeblasen. Anschließend wurden die Früchte nochmals in einem Holzofen getrocknet, um vor dem Mahlvorgang auch die letzten Feuchtigkeitsreste zu entfernen.

Zum Schluss wurden die Kastanien zwischen steinernen Mahlsteinen zu einem feinen, cremig gelben Mehl von unverwechselbaren Geruch gemahlen, das je nach Kastaniensorte bis zu einem Jahr und länger haltbar war und wegen seines süßlichen Geschmackes “farina dolce“ genannt wurde.

Kastanie und Ernährung []

Die Kastanie ist entgegen aller Vorurteile ein gesundes, nährstoffreiches, leicht verdauliches und schmackhaftes Nahrungsmittel. Was ihre Inhaltsstoffe angeht ist sie, abgesehen von dem geringen Eiweißgehalt mit Getreide vergleichbar. Die stärkehaltigen Früchte schmecken roh mehlig, entwickeln beim Kochen aber einen süßlichen Geschmack.

Abbildung 9Inhaltsstoffe der Kastanie


Abbildung 9

Ihre jahrhundertlange Bedeutung als Grundnahrungsmittel verdankt die Kastanie ihrem hohen Gehalt an Stärke und Einfachzuckern. Der Eiweißmangel wurde durch die Zubereitung unter Verwendung von Milch oder Käse teilweise kompensiert. Die Bezeichnung albero del pane hat einen realistischen Hintergrund: Wurde doch Kastanienmehl bei der Zubereitung von Brot, Kuchen und Focaccia, Troffie, Tagliatelle und Gnocchi dem (Weizen)mehl als Ersatzstoff beigemischt. Die Kastanie sicherte so in Ligurien wie übrigens auch im gesamten Voralpenraum über Jahrhunderte das Überleben der Bevölkerung.

Abbildung 10Eine Pfanne mit Lochboden dient zum Rösten der Kastanien.


Abbildung 10

Kastanien wurden roh verzehrt oder in einer Pfanne über dem Feuer geröstet (caldarroste), manchmal aber auch nur -geschält oder noch mit Schale- in Wasser gekocht.