2.3 Stockfisch und Baccalà
Einleitung
Reiche und arme Meere
Der Kabeljau
Geschichte der Konservierung
Stoccafisso
Baccalà
Einleitung [ ↑ ]
Sicher haben Sie sich beim Einkauf im kleinen Ligurischen Lebensmittelgeschäft gefragt, warum hier diese unansehnlichen, eingetrockneten Fischhälften angeboten werden, wo es doch im benachbarten Fischgeschäft den köstlichsten Frischfisch zu kaufen gibt. Und was sind das für weißliche aufgequollene Gebilde, die der Fischändler in einem großen Becken wässert? Die Antwort ist einfach, in beiden Fällen handelt es sich um konservierten Kabeljau, einmal getrocknet als stoccafisso das andere Mal mit Salz gepökelt als baccalà. In Zeiten einer lückenlosen Kühlkette vom Fangschiff in der Arktis bis zum kleinen Fischladen im Hinterland haben sich diese antiquierte Konservierungsmethoden sicher überlebt. Aber die von der einheimischen Bevölkerung immer noch geliebten alten Traditionsrezepte wie stoccafisso accomodato oder baccalà all'agrodolce lassen sich eben nur mit diesen alten Zutaten originalgetreu zubereiten. Geschichte, Anlass und Herstellverfahren der Kabeljau-Konservierung erläutern die folgenden Abschnitte.
Reiche und arme Meere [ ↑ ]
Die Planktonlebewesen sind das unterste Glied in der Nahrungskette im Meer. Sie sind die Urnahrung für alle Meereslebewesen, sei es in direkter oder indirekter Form in der unendlichen Kette des Fressens und Gefressenwerdens.
Bei überreichem Auftreten geben sie dem Meer die trübe Farbe, färben es grau-schwarz, grünlich, bräunlich oder rötlich. Überreich gedeihen in diesen trüben Meeren auch die übrigen Lebewesen. Zwar ist die Artenvielfalt geringer als in den blauen Meeren, aber die einzelnen Arten treten in so gewaltigen Mengen auf, dass sie den Menschen seit Jahrhunderten reiche Fänge ermöglichten.
Blau hingegen ist die Hungerfarbe des Meeres. Das Mittelmeer mit seinen blauen, kristallklaren Gewässern ist, verglichen mit dem Atlantik, ein armes Meer; arm an Plankton und arm an den übrigen Meereslebewesen. Die Artenvielfalt ist zwar sehr hoch, die Zahl der Individuen einer Art aber gering, was den Mittelmeerfischern seit Jahrhunderten vergleichsweise geringe Erträge erbrachte. Das heißt, im Mittelmeer war das Angebot an Fisch schon immer geringer als die Nachfrage. Auch war früher der Verzehr von Seefisch im Landesinneren wegen des schnellen Verderbs und fehlender Konservierungsmethoden unmöglich. Eine Lösung dieser beiden Probleme brachten stoccafisso und baccalà, die getrocknete bzw.gepökelte Konserve des Kabeljaus.
Der Kabeljau [ ↑ ]
Die Dorschfische oder Gadiden, deren wichtigster Vertreter der Kabeljau (lat. gadus morhua - unreif Dorsch genannt) ist, sind Bewohner der kalten und gemäßigten Meere und bevorzugen Gewässer mit hohem Salzgehalt. Nur eine einzige Art, der Ostseedorsch (lat. gadus morhua callaris) hat als bevorzugten Lebensraum das Brackwasser der Ostsee gewählt. Die Dorsche bilden verschiedene Rassen mit unterschiedlichen Laichgewohnheiten und bevorzugten Aufenthaltsgebieten. Die für die Fischerei wichtigsten Stämme sind ozeanische Zugfische, die zum Laichen aus ihren arktischen Heimatgewässern in wärmere Gewässer ziehen aber auch weite Nahrungswanderungen unternehmen. Die drei wichtigsten Dorschstämme sind die in der Barentsee beheimateten norwegisch-arktischen Stämme sowie die isländischen Stämme und die Bestände vor Neufundland und Grönland. Als Rohware zur Herstellung von getrocknetem Fisch mit mehrjähriger Haltbarkeit kann ausschließlich Magerfisch wie der Kabeljau verwendet werden. Fettfisch mit seiner Neigung zum vertranen würde schnell ungenießbar werden.
Das italienische Lebensmittelrecht läßt die Handelsbezeichnungen stoccafisso (getrockneter Kabeljau) und baccalà (gepökelter Kabeljau) nur für die aus folgenden Fischarten hergestellten Produkte zu:
Gadus morhua - Kabeljau bzw. Dorsch
Gadus ogac - Ogac oder Grönland-Kabeljau
Gadus morhua callarias
- Ostseedorsch
Gadus macrocephalus
- Pazifischer Kabeljau
Geschichte der Konservierung des Kabeljaus [ ↑ ]
Es waren die Wikinger, die schon in grauer Vorzeit die Dorschbestände im Gebiet der Lofoten befischten, die Konservierungsmethode des Lufttrocknens erfanden und den Stockfisch als idealen Proviant für ihre langen Seereisen verwendeten. Ideal deshalb, weil er sehr nahrhaft, wegen des Wasserentzuges sehr leicht und kompakt und bei geeigneter Aufbewahrung jahrelang haltbar ist, ohne zu verderben. Bereits damals waren die getrockneten Dorsche Lebensgrundlage und wichtigstes Handelsprodukt der Völker des hohen Nordens. In Italien machten die Einwohner der Seerepublik Venedig als Erste Bekanntschaft mit Stoccafisso. Der Venezianische Kaufmann Pietro Querini erlitt 1431 auf einer seiner Handelsreisen Schiffbruch in der Nordsee. Sein Rettungsboot wurde nach langer Irrfahrt auf der unbewohnten Insel Sandøy angetrieben. Im Frühahr 1432 wurde die erschöpfte Besatzung von Bewohnern der zu den Lofoten gehörenden Insel Røst gerettet. Voller Staunen sah er die in gewaltigen Mengen an Stangen zum Trocknen aufgehängten Fische und nahm begeistert von diesem neuen Konservierungsverfahren die ersten "stoccafissi" mit zurück in seine Heimat.
Die ersten größeren Importe erfolgten aber erst um 1500 und der wirkliche Durchbruch kam 1563 mit dem Konzil von Trient, das im Zeichen der Gegenreformation seinen Gläubigen verschärfte Fastenregeln verordnete, wie z.B. fleischlose Kost mittwochs und freitags und dabei auch den Stockfisch neben allen anderen Fischen zur zulässigen Fastenspeise erklärte. Venezianische und Genueser Kaufleute importierten den Fisch bald in großen Mengen und so ist es auch verständlich, dass der Verzehr von wohlfeilem, konserviertem Kabeljau insbesondere durch die ärmere Bevölkerung bald in ganz Italien üblich wurde, sich aber in Ligurien und dem Veneto am stärksten verbreitete. 2004 hat Norwegen noch 3000 t Stockfisch nach Italien importiert.
Die Basken hingegen gelten als Erfinder des Baccalà. Das Konservierungsverfahren des Pökelns mit Salz hatten sie bereits beim Walfang erfolgreich angewandt. Auf ihren Walfangreisen, die sie schon lange vor der Entdeckung Amerikas durch Christof Columbus bis vor die Küsten Nordamerikas führten, entdeckten sie zufällig die überreichen Fischgründe der Great Banks vor Neufundland. Mit Salz beladen stachen ihre Schiffe in See. Die Laderäume bis an die Decksplanken mit gesalzenem Kabeljau gefüllt, kehrten sie nach Hause zurück. Lange Zeit konnten sie den Ort ihrer erfolgreichen Fischzüge geheim halten, bis 1497 die Gebrüder Caboto auf der Suche nach der Nordwest-Passage die reichen Fischgründe vor Neufundland ebenfalls entdeckten.
Ab dem Beginn des 16. Jahrhunderts begann die Ausbeutung der Kabeljaubestände vor Island und Neufundland durch Fischereiflotten aus England, Frankreich, Spanien und Portugal. Die Schwärme waren damals noch so gewaltig, dass berichtet wurde, "man könne auf dem Rücken der Fische spazieren gehen". Die Ware selbst fand bei der wachsenden Bevölkerung des europäischen Kontinents reißenden Absatz, war sie doch eine wesentlich billigere und preiswertere Proteinquelle als Rind-, Schweine- oder auch Lammfleisch. Im 20.Jahrhundert dezimierten die modernen Fangmethoden die ehemals gewaltigen Bestände derart, dass die Kabeljaupopulation 1989 kollabierte. 1992 wurden die Fanggründe dann offiziell geschlossen.
Um 1640 begann man auch in Norwegen Kabeljau in Salz zu pökeln und als Baccalà zu exportieren.
Die Präferenz der traditionellen italienischen Küche für die beiden Modifikationen der Kabeljau-Konservierung ist zweigeteilt. Die Regionalküchen in Ligurien, dem Veneto, Campanien, Kalabrien und Sizilien bevorzugen den stoccafisso ebenso wie die Küchen im Gebiet um Livorno und Ancona. Den baccalà essiccato hingegen haben die Toskana, die Marken, Umbrien und die Abbruzzen in ihre traditionellen Regionalküchen integriert. Den baccalà salato findet man filetiert oder am Stück hingegen in ganz Italien.
Stoccafisso [ ↑ ]
Die Qualität des weißfleischigen und delikaten norwegischen Kabeljaus sowie die zum Trocknen der Fische idealen klimatischen Bedingungen haben dazu geführt, daß Norwegen der nahezu einzige Produzent von Stockfisch auf der Welt ist. Im Frühjahr, wenn das Eis schmilzt, wandern gewaltige Schwärme des arktischen Kabeljaus aus ihrer heimatlichen Barentssee nach Süden, um in der Nähe der Lofoten in den wärmeren Gewässern des dort versiegenden Golfstromes zu laichen.
Gefangen wird der zur Stockfischproduktion bestimmte Fisch von Ende Februar bis Mitte April. Um das besonders geschätzte, weißfleischige Endprodukt zu garantieren, läßt man die Fische ausbluten. Danach werden sie geköpft und ausgenommen. Unmittelbar nach der Anlandung werden jeweils zwei gleichgroße Exemplare an den Schwanzflossen zusammengebunden und auf Gestellen zum trocknen aufgehängt, wobei auf ausreichenden Abstand geachtet wird um optimale Luftzirkulation zu garantieren. Der Trockenvorgang dauert, abhängig von den aktuellen klimatischen Bedingungen und der Größe der Fische etwa 3 Monate, 3 Monate in denen der Fisch in ständig wechselnder Folge Regen, Wind und Sonne ausgesetzt ist. Üblicherweise ist der Trocknungsprozeß in freier Atmosphäre Mitte Juni abgeschlossen. Danach wird der Fisch in geschlossene Räume zum nachtrocknen verbracht und im Anschluß daran in mehr als 20 Qualitätsklassen selektiert. Sein Wassergehalt liegt dann zwischen 12 und 18%. In Jutesäcken verpackt gelangt er zum Versand. Gelagert wird der Stockfisch in trockenen, kühlen und gut durchlüfteten Räumen, um dem Schimmelbefall und dem Befall mit Milben vorzubeugen.
Vor der Verwendung in der Küche muß der Stockfisch 5-6 Tage gewässert werden, wobei das Wasser täglich erneuert werden sollte. Durch die Wasseraufnahme erhöht sich das Gewicht der Ware um das 4-5 fache.
Baccalà [ ↑ ]
Die Verarbeitung des zur Herstellung von Baccalà bestimmten Kabeljaus ist zunächst identisch mit dem Verfahren zur Herstellung von Stoccafisso. Den Fisch läßt man nach dem Fang ausbluten, anschließend wird er geköpft, ausgenommen und derart gespalten, daß die beiden Hälften an der Rückenlinie miteinander verbunden bleiben. Nun werden zwei Drittel der Rückengräte entfernt, die Fische auf Paletten oder in Bottiche geschichtet und einer Salzlauge ausgesetzt. Dieser Prozeß dauert etwa 3-4 Wochen, wobei der Fisch in Abständen von 4-5 Tagen umgeschichtet wird. Bei der Salzgare wird dem Fisch Wasser entzogen und durch Salz ersetzt. Die Gare ist abgeschlossen, wenn der Salzgehalt im Fisch 18% übersteigt. In dieser Form gelangt der Fisch als baccalà salato in den Handel, bzw wird weiterverarbeitet zu baccalà essiccato zu Deutsch Klippfisch.
Zu diesem Zweck wird der Fisch unter fließendem Wasser ausgewaschen und anschließend in den modernen Produktionsverfahren bei Temperaturen von 20-25 °C in Öfen getrocknet, wobei die Verweildauer im Ofen je nach Größe und Menge der Fische 2-5 Tage betragen kann.
Bei dem traditionellen Verfahren werden die Fische nach der Salzbehandlung gewaschen und anschließend auf Felsen oder Klippen zum Trocknen ausgelegt. Der Trockenprozeß dauert mehrere Wochen, die Fische müssen immer wieder gewendet und vor Regen und Tau geschützt werden. Wegen der hygroskopischen Wirkung des stark salzhaltigen Fisches kann der Trockenprozeß nur in Gegenden mit hohem Luftdurchsatz und trockener Luft durchgeführt werden.
Der versandfertige Klippfisch oder baccalà essiccato hat einen Salzgehalt von 18-20%, der Wassergehalt beträgt etwa 35%. Um einem Schimmelbefall vorzubeugen sollte er bei Temperaturen von 1-5° in trockener, luftiger Umgebung gelagert werden.
Auch der baccalà muss vor der Verwendung in der Küche gewässert werden. Dabei wird sowohl der Fisch aufgeweicht, als auch der Salzgehalt reduziert. Je nach Größe der Stücke und geschmacklichen Vorzügen dauert das 1-2 Tage, bei großen Stücken bis zu 5 Tagen. Beim Wässern verdoppelt der Fisch sein Gewicht. Die Haut lässt sich nach dem Wässern leichter abziehen.